Spitzel und Konspiration

Genosse Karl, der später mit uns zusammen verhaftet wurde, überbrachte mir persönlich gegen zehn Uhr abends die Mitteilung, daß die Versammlung in Neukölln bei dem Genossen Rosenstiel, Manitiusstraße 1, stattfindet. Dem Genossen Karl, mit welchem ich einige technische Angelegenheiten und Fragen des Versands und der Verteilung unseres Materials sowie der Herstellung neuer Verbindungen durchsprach, machte ich bei dieser Gelegenheit die Mitteilung, daß ich einen unserer Genossen nicht für zuverlässig halte. Dieser war der Glasmacher Degen, der uns von einem unserer Genossen als Mitarbeiter zugeführt worden war und der angab, von der Front desertiert zu sein…

Als der Genosse Jogiches mitteilte, daß in den nächsten Tagen ein Flugblatt für die Arbeiter der Rüstungsindustrie erscheinen wird, klopfte es an der Tür. Der Genosse Rosenstiel, welcher die Tür öffnete, kam in Begleitung einer Anzahl Kriminalbeamter, die mit entsicherten Pistolen das Zimmer betraten, zurück. Die Kriminalbeamten machten uns darauf aufmerksam, daß bei dem geringsten Fluchtversuch geschossen werden würde, im übrigen jeder Fluchtversuch zwecklos sei, da nicht nur das Haus sondern auch die umliegenden Straßen durch die Kriminalpolizei abgesperrt worden seien. Sämtliche Teilnehmer der Konferenz wurden erst zur Polizeiwache in Neukölln, dann nachmittags gegen 3 Uhr zum Berliner Polizeipräsidium transportiert.

Trotz der für uns schweren und schwierigen Situation waren wir guter Dinge, wussten wir doch, daß die Fortführung der Arbeit vollkommen gesichert sei, da eine Reihe führender Genossen auf dieser Konferenz nicht anwesend war. Es war bei uns aus bestimmten Gründen üblich, nicht die gesamte Leitung an einem Ort und zu einem Zeitpunkt zusammenzuziehen…

In den späteren Kämpfen, als es möglich war, in verschiedene Akten des Polizeipräsidiums Einblick zu erhalten, wurde meine Vermutung bestätigt, daß einer in unseren Reihen der Polizei unsere Zusammenkunft verraten hat.

In einem Straflösungsgesuch, welche Degen an das Ministerium des Innern gesandt hatte, weil er beabsichtigte, die Beamtenlaufbahn einzuschlagen, wies er ausdrücklich auf die Verdienste hin, die er sich durch die Denunziation des Spartakusbundes erworben hatte.

Willi Leow, „Verhaftung der Führung des Spartakusbundes“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

 

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