Vermächtnis der Helden des November ist bei uns erfüllt

Von Paul Verner

Ihre Haupttriebkraft war die Arbeiterklasse

Die Reichskonferenz der Spartakusgruppe Anfang Oktober 1918 bezeichnete als Ziel des revolutionären Kampfes die „deutsche sozialistische Republik, die mit der russischen Republik solidarisch ist“.1) Zugleich erarbeitete sie ein Programm, das die nächsten antimilitaristischen, antiimperialistischen Forderungen enthielt. Durch die Verwirklichung dieser Forderungen sollte das Kräfteverhältnis der Klassen so verändert werden, daß die Revolution in die sozialistische hinübergeleitet werden konnte. In seinem „Brief an die Mitlieder der Spartakusgruppe“ vom 18. Oktober 1918 begrüßte Lenin die Beschlüsse der Reichskonferenz und sprach die Hoffnung aus, „in nächster Zeit den Sieg der proletarischen Revolution in Deutschland begrüßen zu können“. 2)

Spartakus und die anderen Linken standen in der vordersten Reihe der revolutionären Kämpfe. Wo sie den bestimmenden Einfluß in den Räten besaßen, wurden die entschiedensten Maßnahmen gegen die Vertreter der alten Gewalt ergriffen. Unter ihrer Führung entfernten bewaffnete Arbeiter, Soldaten und Matrosen reaktionäre Beamte aus ihren Ämtern, entwaffneten und verjagten sie Offiziere des kaiserlichen Heeres, unterbanden sie das Erscheinen reaktionärer Zeitungen. ‚Wo die Arbeiter- und Soldatenräte von Revolutionären geführt wurden, entstanden revolutionäre Arbeiter- und Volkswehren, die die errungenen Machtpositionen im lokalen Maßstab sicherten oder sogar ausbauen konnten. In vielen Betrieben machten die Belegschaften dem Herrn-im-Hause-Gebahren der Unternehmer ein Ende und setzten die Kontrolle der Produktion durch. Das Auftreten des Spartakusbundes, seine Forderungen und Ziele entsprachen den Interessen der breiten werktätigen Massen.

Millionen Arbeiter, Soldaten, unter ihnen viele werktätige Bauern, Angehörige des Mittelstandes, die besten Vertreter der Intelligenz, haben in der Novemberrevolution die Herrschaft der Monopolherren, Junker und Militaristen tief erschüttert.

Die Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse wollte die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft. Sie wollte sich nicht darauf beschränken, einige Auswüchse des Kapitalismus zu beseitigen, sondern ihr ging es um die Beseitigung der Herrschaft der Ausbeuter überhaupt.

In den machtvollen Massenstreiks, vor allem in den industriellen Zentren – im Ruhrgebiet, in Berlin, in Mitteldeutschland und Oberschlesien – Ende 1918 und in den ersten Monaten des Jahres 1919 forderten die Arbeiter Sozialisierung und echte Mitbestimmung der Betriebsräte. Das Streben nach Sozialismus war auch lebendig in den entschlossen und heldenhaft geführten Kämpfen gegen die militärische Konterrevolution vom Dezember 1918 bis zum Mai 1919 sowie bei der Errichtung der Räterepublik in Bremen und Bayern.

Die Novemberrevolution war eine echte antiimperialistische Volksrevolution, ihre Haupttriebkraft war die Arbeiterklasse. Wenn es auch nicht gelang, sie in eine siegreiche sozialistische Revolution hinüberzuleiten, alles, was erreicht wurde – die Beendigung des Krieges, politische und soziale Veränderungen -, wurde allein durch den Kampf der Massen errungen, und keineswegs durch die – um mit Clara Zetkin zu sprechen – Staatsmännelei opportunistischer Führer. Nichts hatten die herrschenden Ausbeuter freiwillig hergegeben; sie mußten Zugeständnisse machen, weil die Aktion breiter Arbeitermassen, die anfangs einheitlich handelten, ihre Macht wie nie zuvor in der Geschichte unseres Volkes bis in die Grundfesten ins Wanken brachte.

Kernfrage war, ist und bleibt die Machtfrage

Eine weitere Lehre der Novemberrevolution bestand darin, daß Frieden und Demokratie nur errungen und dauerhaft gesichert werden können, daß der Sozialismus nur zum Siege geführt werden kann, wenn es der Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen werktätigen Schichten gelingt, die imperialistischen Klassenherrschaft zu stürzen, ihre eigene politische Macht zu errichten und zu festigen. Werden und Wachsen der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen, was der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Genosse Erich Honecker, anläßlich des 50. Jahrestages der Novemberrevolution gesagt hat: „Gerade die historischen Erfahrungen der deutschen Arbeiterklasse hatten schließlich die Klarheit und Weitsicht der Leninschen Erkenntnis bestätigt, daß die Kernfrage jeder Revolution die Frage der Macht ist. Nur indem die Arbeiterklasse in dieser oder jener Form die politische und ökonomische Macht erobert, sie festigt, ausbaut und niemals wieder aus den Händen gibt, kann sie ihre historische Mission der Erneuerung der Welt erfüllen.“3)

Die Erfahrungen der Novemberrevolution wie die vieler anderer Klassenschlachten strafen alle Behauptungen Lügen, daß die kapitalistische Gesellschaft ohne Zerschlagung des politischen, ökonomischen, ideologischen und militärischen Machtapparates der kapitalistischen Klasse, ohne revolutionäre Gewalt gegen die Bourgeoisie in eine sozialistische umgewandelt werden könne. Zu keiner Zeit und nirgendwo ist durch sozialreformistische Politik der Weg zum Sozialismus gebahnt worden. Ebenso wahr ist, daß opportunistische Politik; wo und wie auch immer, stets den grundlegenden Lebensinteressen des werktätigen Volkes schadet. Nützlich erweist sie sich nur den Profitinteressen und Machtpositionen der Großbourgeoisie.

Seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution gehört es zum Arsenal der Imperialisten, und heutzutage nicht nur zu dem ihren, die Machtfrage, diese Kernfrage des Klassenkampfes, dadurch zu verschleiern, daß die „reine Demokratie“ demagogisch der „Diktatur des Proletariats“ gegenübergestellt wird.

Rosa Luxemburg hat schon in den Tagen der Novemberrevolution dieses große Betrugsmanöver aufgedeckt; als sie in der „Roten Fahne“ schrieb: „Nicht darum handelt es sich heute, ob Demokratie oder Diktatur. Die von der Geschichte gestellte Frage lautet: bürgerliche Demokratie oder sozialistische Demokratie. Denn Diktatur des Proletariats, das ist Demokratie im sozialistischen Sinne. Diktatur des Proletariats, das sind nicht Bomben, Putsche, Krawalle, ‚Anarchie’, wie die Agenten des kapitalistischen Profits zielbewußt fälschen, sondern das ist der Gebrauch aller politischen Machtmittel zur Verwirklichung des Sozialismus, zur Expropriation der Kapitalistenklasse – im Sinne und durch den Willen der revolutionären Mehrheit des Proletariats, also im Geiste sozialistischer Demokratie.“4)

Die Lüge von der „reinen Demokratie“ half dem deutschen Monopolkapital, seine Macht über die Revolution hinwegzuretten. Im Gewande einer bürgerlich-parlamentarischen Demokratie wurde die Diktatur des Monopolkapitals fortgesetzt. Anderthalb Jahrzehnte nach der Novemberrevolution zerstörten die reaktionärsten und aggressivsten Kräfte des deutschen Finanzkapitals diese bürgerlich-parlamentarische Republik. Sie errichteten die faschistische Diktatur, um die Arbeiterbewegung vor allem ihre revolutionäre Vorhut, niederzuschlagen und den Weg für einen neuen Aggressionskrieg freizumachen. So führt eine gerade Blutspur von den Morden der konterrevolutionären Banden an Spartakus, an Arbeitern, Soldaten und Matrosen bis zu den Kriegsverbrechen des deutschen Imperialismus in zweiten Weltkrieg.

Die Geschichte lehrt uns, daß es in der Frage der Macht keine Unklarheiten und kein Schwanken geben darf. Verlauf und Ergebnis der deutschen Novemberrevolution bestätigen die Allgemeingültigkeit der Lehre des Marxismus-Leninismus, daß die Arbeiterklasse und ihre Bundesgenossen ihre revolutionären Errungenschaften wirksam gegen alle Anschläge der Konterrevolution verteidigen müssen, und das tun wir und werden es auch in Zukunft tun.

Alles, was heute zur Realität unseres Lebens gehört, das mußte schwer erarbeitet und in erbitterten Klassenschlachten gegen den deutschen und internationalen Imperialismus gesichert werden. Der Imperialismus wandte – wie in der Zeit der Novemberrevolution – alle Mittel der Konterrevolution an, um den Sozialismus auf deutschem Boden zu vernichten. Doch alle seine Versuche zerbrachen an der politischen Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, und sie werden auch in Zukunft scheitern.

1) Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Reihe II, Bd. 2, Berlin 1975, S. 229

2) W. I. Lenin: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 454

3) Erich Honecker: Werden und Wachsen der DDR – lebendiges Vermächtnis der revolutionären Novemberrevolution, Dietz Verlag, Berlin 1969, S. 16

4) Rosa Luxemburg: Die Nationalversammlung. In: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 409/410

Neues Deutschland. 10.11.1978. S. 3